So fühlt sich Demenz an
Der Demenzparcours an der Berufsakademie macht die Krankheit für angehende Pflegekräfte erfahrbar
Passauer Neue Presse - 28.02.2020
Wie fühlt es sich an, wenn das eigene Gehirn zum Verräter wird? Wenn das, was früher normal war, plötzlich unmöglich wird? Kurz: Wie fühlt es sich an, wenn man an Demenz leidet? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen und ein Bewusstsein für die Tücken dieser Krankheit zu schaffen, haben zwei Lehrerinnen der Berufsakademie Passau einen Demenzparcours kreiert. Er soll vor allem angehenden Pflegekräften helfen, ein Gespür für die Bedürfnisse der Erkrankten zu entwickeln.
Wie ist es, wenn man dem eigenen Gehirn nicht mehr trauen kann? Das haben Marcel Dannemann (vorne) und weitere FOS- und BOS-Schüler mit ihrer Lehrerin Veronika Lentner (r.) erlebt. - Foto: Jäger
Von Johannes Munzinger
Marcel Dannenmann ist 20 Jahre jung und steht kurz vor dem Abitur an der FOS. Er spielt mit dem Gedanken, Pflegewissenschaften zu studieren. Zusammen mit anderen Schülern der FOS und BOS ist er heute hier, um den Demenzparcours zu durchlaufen.
Dannenmann ist ein kerngesunder junger Mann. Jetzt soll er etwas leisten, das eigentlich ein Kinderspiel sein sollte: Auf einem Stück Papier, das in einer Holzbox liegt, mit einem roten Filzstift einen Stern ausmalen. Die Tücke: Er hat dabei eine Brille auf, die Alterssehschwäche simuliert. Außerdem darf er den Stern nur über dessen Spiegelbild ansehen.
Die schwarzen Flecken auf der unscharfen Brille lassen nur Schemen erkennen. Der Blick über den Spiegel überfordert das Gehirn. Muss ich nun mit dem Stift nach links fahren? Oder rechts? Oben? Unten? Schnell kommt der Gedanke: „Das gibt’s doch nicht! So schwer kann das doch nicht sein!“ Der Selbstversuch zeigt: Was so einfach klingt, ist praktisch unmöglich, anstrengend und ungemein frustrierend.
Nacheinander können Teilnehmer des Parcours die Symptome der Demenz am eigenen Leib ansatzweise erfahren. Die quälende Übung mit dem Stern ist eine der Stationen. An einer anderen schlüpfen die Teilnehmer in sogenannte „Tremor-Handschuhe“, die starkes Zittern simulieren. „Das war schon brutal“, sagt Dannenmann, „wenn die richtig aufgedreht werden, geht da gar nichts mehr“. An einer weiteren Station können die Teilnehmer nachspielen, wie es ist, wenn die Wortbildung nicht mehr ordentlich funktioniert. Wenn im Supermarkt aus der Banane die „Schanane“ und aus dem Thunfisch der „Zhuntisch“. „Das war total spannend und interessant“, sagt Dannenmann. „Da kann man sich mal wirklich in die Lage der Patienten hineinversetzen.“
Diese Reaktion hatten sich die Erfinderinnen des Parcours erhofft: Die stellvertretende Schulleiterin Ursula Schenk und Vera Fitzner, beide Lehrerinnen für Pflegeberufe, haben ihn entwickelt. „Wir haben zu dem Thema jahrelang normalen Unterricht gemacht und uns gedacht: Es wäre wichtig, dass die Schüler ein paar Schritte in den Schuhen des Erkrankten gehen können“, sagt Schenk. Das Ziel: Jeder Pflegeschüler soll in seiner dreijährigen Ausbildung einmal diesen Parcours durchlaufen.
Neben viel Fachwissen sei vor allem Empathie wichtig. Und die richtige Kommunikationsform. „Es bringt nichts, zornig zu werden, wenn man hinter einem Demenzkranken lange an der Kasse steht“, sagt Fitzner. „Man darf die Kranken nicht mit ihren Schwächen konfrontieren. Das erzeugt nur Frust.“
Auch diese Lektion haben Dannenmann und seine Mitschüler mitgenommen. Der 20-Jährige weiß: „Der Kranke macht das ja nicht mit Absicht. Er ist eben krank.“ Und nun weiß er auch – zumindest im Ansatz – wie sich das anfühlt, wenn man dem eigenen Gehirn nicht mehr trauen kann.
PNP-28.02.2020