Puppen statt Patienten zur Prüfung
Pflege-Azubis haben wegen der Corona-Krise kaum Zeit für die Vorbereitung auf ihren Abschluss
Passau/Bad Füssing. Ramona Weidinger hat schon angefangen, aber sie weiß nicht, ob sie weitermachen soll. Mit dem Lernen. Ihre Abschlussprüfungen wurden verschoben, einen neuen Termin hat sie noch nicht. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihr nicht. Sie arbeitet als Pflegerin im „SeniorenWohnen“ in Bad Füssing. Und bereitet sich nebenbei weiter auf die Abschlussprüfungen vor. Eine Doppelbelastung, die nicht eingeplant war.
Normalerweise würden die Pflege-Azubis in der praktischen Prüfung mit "echten" Patienten arbeiten. Wegen dem Coronavirus wird aber eine Laborprüfung mit Puppen favorisiert. - Foto: Mühling
Von Bastian Mühling
Von der Schulschließung in Bayern Mitte März waren auch die Berufsfachschulen des Gesundheitswesens betroffen. Während für die anderen Schüler „frei“ bis auf Homeschooling wirklich frei bedeutet, heißt das für Pflege-Azubis: Arbeit
„Wenn die Schule ausfällt, ist es üblich, dass die Schüler ihre Arbeitskraft in der Praxis zur Verfügung stellen“, sagt Joachim Berga, Pflegeschulleiter an der Berufsakademie Passau (BAP). Deshalb habe er mit den über 40 Einrichtungen, an denen seine Azubis arbeiten, einen „halbe-halbe Deal“ vereinbart. Konkret heißt das: vier Stunden Arbeit, vier Stunden Lernen. „Zum Großteil hat das auch funktioniert“, erzählt Berga. 75 Prozent der Einrichtungen hätten zugestimmt. Berga räumt aber auch ein: „Wenn Kollegen in Quarantäne müssen, dann ist Not am Mann und da wird die Lernoption dann geringer ausfallen.“
Davon berichtet auch Ramona Weidinger (33). Die höhere Belastung liege wie bei Pflegern im Krankenhaus darin, dass sie in kompletter Schutzkleidung arbeiten müssen. Und: „Wir sind der einzige Kontakt, den die Bewohner noch haben.“ Das schlägt auf die Psyche – auf beiden Seiten. Bis jetzt ist im Betreuten Wohnen in Bad Füssing ein Bewohner an dem Coronavirus verstorben. Im Vergleich zu anderen Einrichtungen ist das wenig. Weidinger geht es auch gar nicht um sich selbst. Sie spricht im Namen der Abschlussklasse AP17B. „Mir geht es um meine Klassenkameraden.“ Sie erzählt von einer Schülerin, die in einem Pflegeheim mit zehn Corona-Infizierten arbeitet. Einige andere müssten sich neben der Doppelbelastung um ihre Kinder kümmern. Und eine Schülerin hätte sogar schon auf der Arbeit übernachtet.
Pflegeschulleiter Joachim Berga meint: „Vereinzelt ist die Doppelbelastung sehr hoch.“ Zum Beispiel, wenn man später aus dem Dienst komme. Oder, wenn man noch eine eigene Familie zu versorgen hat. Da kann Joachim Berga nur sagen: „Respekt, wer das schafft.“
Auf PNP-Anfrage erklärt das Gesundheitsministerium, dass die Auszubildenden nicht zu befürchten hätten, „aufgrund des Pandemie-bedingten Unterrichtsausfalls bzw. fehlender Praxisstunden ihre Prüfung nicht zu bestehen“. Außerdem soll bei den Abschlussklassen auf weitere Leistungsnachweise im restlichen Schulhalbjahr verzichtet werden. Nicht vorgesehen sei, Auszubildende ohne Abschlussprüfung ins Feld zu schicken. „Denn dies birgt eine Gefahr für Patienten und Bewohner und ist auch gesetzlich nicht möglich.“
Die Abschlussprüfungen in der Altenpflege bestehen aus drei Teilen: praktisch, schriftlich und mündlich. Vor allem die praktische Prüfung stellt die Schulen und Pflegeeinrichtungen vor Probleme. „Normal fahren die Prüfer von Heim zu Heim, und die Prüflinge müssen anhand echter Patienten eine Pflegeplanung erstellen“, erklärt Joachim Berga. Man müsse sich das wie ein „Home-Hopping“ vorstellen. Um die Infektionsgefahr zu minimieren, wird deshalb Berga zufolge eine Laborprüfung favorisiert. Laut Berga wurde die Lösung am Freitag vom Gesundheitsministerium genehmigt. Die Azubis sollen demnach an Puppen arbeiten. „Bis 2004 gab es solche Demoraumprüfungen“, erzählt Berga. Das Problem: Die kommunikativen Fähigkeiten können mit einer Puppe nicht geprüft werden.
Die Schüler wünschen sich eine Prüfung in der normalen Form. Und Joachim Berga auch. Eigentlich. „Auch wenn es mir schwer fällt, favorisiere ich aber die Demoraumprüfung.“ Der Grund: „Die Infektionsgefahr wäre geringer.“ Einige Pflegeeinrichtungen hätten auch schon angekündigt, niemanden reinzulassen.
Zur Puppenlösung meint Ramona Weidinger: „Wenn ich die Prüfung an einer Puppe ablege, dann ziehe ich irgendein Krankheitsthema.“ Normalerweise bekomme man am Tag vor der Prüfung Bescheid, welchen Patienten man in der Prüfung pflegen soll. Diese Sorge nimmt Joachim Berga seinen Azubis: „Mit einer Puppe würde das genauso ablaufen. Die Eigenschaften des ausgewählten Bewohners würden auf die Puppe transferiert.
Wie fast überall sorgt auch die Wiederöffnung der Berufsschulen für Diskussionen und Chaos. Zunächst sollten die Pflege-Azubis am heutigen Montag zur Schule zurückkehren. Um die Verschleppung des Virus in die Schulen und im Anschluss zurück in die Einrichtungen zu vermeiden, können die Schulen nun eine zweiwöchige Phase des „Lernens zuhause“ einplanen. Das geht aus einem Schreiben hervor, das der PNP vorliegt.
Mit dieser Kann-Bestimmung ist Joachim Berga „nicht ganz glücklich“. Eigentlich haben sie schon einen Stundenplan für die nächste Woche erstellt, jetzt ist der wieder hinfällig. „Präsenzunterricht vor den Prüfungen werden wir nicht schaffen“, sagt Berga. Das Gesundheitsministerium plant mit Blockphasen. Auszubildende seien in Zeiten des schulischen Lernens zuhause von der Tätigkeit in der Einrichtung freizustellen. Damit sollen Infektionsverschleppungen und eine Überforderung der Azubis vermieden werden. Eigentlich sollten die Prüfungen am 5. Mai starten. „Wenn wir die Genehmigung kriegen, dann könnten wir am 11. Mai loslegen.“ Zum Zeitpunkt der Prüfung äußerte sich das Gesundheitsministerium auf eine entsprechende PNP-Nachfrage nicht.
Ramona Weidinger und ihre Klasse AP17B hängen also weiter in der Luft.
PNP-27.04.2020