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Private Berufsakademie für Aus- und Weiterbildung Passau

"Nähe immer noch der heilsamste Faktor"

Passauer Neue Presse - 28.09.2019

Seit 25 Jahren gibt es die Altenpflegeschule in Passau. Diese Woche feierte sie Jubiläum. Schulleiter Joachim Berga (56) über Vergangenheit und Zukunft der Einrichtung und der (Alten-)Pflege im Allgemeinen im Passauer Gespräch.

Joachim Berga, Leiter der Altenpflegeschule beim Praxisunterricht an der Puppe. - Foto: Jäger

Joachim Berga, Leiter der Altenpflegeschule beim Praxisunterricht an der Puppe. - Foto: Jäger

VITA:

Der Passauer Joachim Berga ist staatlich anerkannter Altenpfleger. Zehn Jahre hat er in der Pflege gearbeitet, bevor er sich zum Lehrer für Pflegeberufe fortbilden ließ. 1995 kam er als solcher an die Berufsakademie Passau, seit 2001 ist er dort Schulleiter der staatlich anerkannten Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe. Auch überörtlich engagiert er sich im Berufsverband für Altenpflege, zeitweise sogar als Landesvorsitzender.

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Herr Berga, was hat sich alles verändert, in den vergangenen 25 Jahren Altenpflegeausbildung?
Der erste große Umbruch war 2003 die Schaffung einer bundesrechtlichen Ausbildung. Zuvor gab es 17 Ausbildungen in 16 Bundesländern, das war ein schöner Flickenteppich mit zwei-, teilweise dreijährigen Modellen. Das Altenpflegegesetz hat außerdem einen echten Ausbildungsstatus etabliert. Mit Ausbildungsvergütung.

Hat sich die Altenpflege auch inhaltlich neu ausgerichtet?
Die Pflegeversicherung ist genau drei Monate jünger als unsere Schule, wir sind mit ihr mitgewachsen, sie hat die Altenpflege gravierend geändert. Es kamen die Qualitätsprüfungen des Medizinischen Dienstes hinzu. Das war ein Novum für die damalige Zeit, für uns als Schule aber immer auch Richtschnur. Die richtig große Herausforderung aber besteht ja erst im nächsten Jahr mit der generalistischen Ausbildung.

Welche Auswirkungen hat es, wenn es statt Altenpflegern nur noch Pflegefachkräfte gibt? Bleibt die Altenpflegeschule dann in ihrer jetzigen Form überhaupt noch bestehen?
Das Gesetz wurde 2017 verabschiedet, seitdem bereiten sich Bund und alle Bundesländer auf die Umsetzung vor. Das ist ja wirklich eine Zäsur, die jetzt passiert, weil die ursprünglichen Spezialdisziplinen der Pflege entsprechend aufgehoben werden und in einem Berufsbild verschmelzen. Also die Kinderkrankenpflege, die Altenpflege und die allgemeine Erwachsenen- und Krankenpflege werden zu einem Berufsbild „Pflegefachfrau“ oder „Pflegefachmann“ vereint. Wir werden damit zur Pflegeschule. Die Kinderkrankenpflegeschule wird auch zur Pflegeschule. Jede Schule wird aber ihren Schwerpunkt behalten.

Das bedeutet, Sie brauchen künftig neues Lehrpersonal, zum Beispiel im Bereich Kinderpflege?
Da ist natürlich die Qualifikationsfrage des Personals. Es gibt Überlegungen, inwieweit wir uns zwischen den Schulen unterstützen und Personal austauschen. Auch wenn sich die Kompetenzen im kleinen geografischen Raum ballen, wird es dennoch eine große Anpassungsleistung von allen werden. Das ist klar. Bei der Organisation der praktischen Ausbildung wird die Herausforderung am größten sein. Sogenannte Pflichteinsätze mit jeweils 400 Einsatzstunden kommen auf uns zu. Die Altenpfleger müssen künftig auch in der Kinderkranken- und Krankenpflege Praxis absolvieren und umgekehrt.

Kommt die spezifische Altenpflegeausbildung dann nicht zu kurz?
Die Befürchtung besteht in Kollegen- und Schulleiterkreisen durchaus. Aber ich glaube, die bayerischen Altenpflegeschulen haben sich ein Profil erarbeitet, mit dem wir auf Augenhöhe mithalten können. Allerdings bleibt die Frage: Wie können wir die praktische Ausbildung auch so attraktiv machen? Denn das ist einer der Knackpunkte in der neuen Regelung. Bislang gab es ja für die Ausbildungsstellen wenig bis keine Unterstützung, jetzt wird diese Anleitungszeit gesetzlich gefordert, aber auch angerechnet. Das ist natürlich eine ganz andere Vorgehensweise, eine ganz andere Voraussetzung, da kann ich ganz anders kalkulieren.

Besteht die Gefahr, dass dann, wenn die Schüler alles ausprobieren dürfen, sich die meisten für die Kinder- oder Krankenpflege entscheiden?
Das möchte man meinen, ist aber nicht so. Die Interessen sind genug verteilt auf den gesamten Pflegebedarf. Es gibt viele Kollegen aus der Krankenpflege, die sagen, sie hätten gerne intensiveren Kontakt zu den Patienten, was bei dem schnellen Wechsel im Krankenhaus kaum möglich ist. Und umgekehrt: Viele aus der Altenpflege möchten gerne medizinisch-technischer arbeiten. Wir brauchen alle Varianten in der Pflege.

Wo sind Sie selbst zur Altenpflegeschule gegangen?
In Regendorf bei Regensburg, die gibt es heute gar nicht mehr. Mich hat die Ferne gereizt, ab 1986 habe ich dann aber als Altenpfleger schon wieder in Passau gearbeitet. Zehn Jahre lang. Wenn man als Lehrer aus der Praxis berichten kann, ist das viel authentischer. Das begeistert die Schüler auch anders.

Wieso haben Sie sich für die Altenpflege entschieden?
„Schuld“ war ein Praktikum in der Fachoberschule. Mein Plan war zuerst eine Tätigkeit in Richtung Sozialpädagogik oder Jugendarbeit. Dann hat mich die besondere Beziehung zu den Menschen, die man in der Altenpflege aufbaut, fasziniert. Es ist ja nicht nur so, dass die nur was von uns bekommen, wir bekommen auch sehr viel zurück.

Wie viele Schüler hat Passau derzeit?
Wenn wir die Altenpflege, die Altenpflegehilfe und die Vorklasse zusammenrechnen, liegen wir bei knapp 200 zum jetzigen Schulbeginn.

Sind die 200 genug, bei dem Bedarf, den es derzeit gibt?
Der Bedarf ist momentan in Deutschland riesig. Wir erwarten in den nächsten zehn Jahren bis zu 50 000 mehr Bedarf an Pflegepersonal, vorsichtig gerechnet. Räumlich gesehen sind wir in der Schule in Passau im Moment aber gut ausgebucht. Wir sind auch überhaupt erst seit vier Jahren zweizügig.

Wurde zu lange Schulgeld für die Ausbildung verlangt und so der Beruf unattraktiv gemacht?
Das könnte ich so nicht sagen. Momentan sind wir schulgeldfrei, konnten uns meistens auch schulgeldfrei halten. Um 2009 aber wurde die Förderung vom Kultusministerium eingestellt. Da hieß es, wir müssen Schulgeld verlangen. Da haben die bayerischen Altenpflegeschulen in München Demos organisiert. Relativ flott wurde schließlich unter Ministerpräsident Seehofer wieder eine andere Richtung eingeschlagen. Im Moment sind wir jedenfalls relativ gut durchfinanziert.

Ist der Job an sich unattraktiv?
Ich würde gerne „Nein“ sagen, aber die Rahmenbedingungen lassen momentan wenig Attraktivität zu. Die Generation der aus der Schule entlassenen Schüler ist durchaus interessiert, einen Beruf zu ergreifen, der sozial ist, aber sie erwarten natürlich auch geregelte Arbeitszeiten. Die haben nichts gegen Wochenenddienste und Schichtsystem. Aber es muss einen geregelten Ablauf geben. Doch im Moment ist es in der Pflege in allen Bereichen so, dass die Anforderungen so hoch sind und sich die Arbeit so verdichtet, dass auch der Krankenstand relativ hoch ist, dass die Fluktuation relativ hoch ist, und dadurch natürlich eine geregelte dienstplanbasierte Arbeitszeit oft einmal nicht möglich ist. Da habe ich in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass weniger der Verdienst ein Problem darstellt, sondern die fehlende Möglichkeit, die eigene Freizeit zu gestalten.

Setzt die Politik insgesamt die richtigen Akzente?
Wenn man wirklich etwas ändern möchte, dann müsste man es im großen Stil tun. Die ganze Finanzierung der Pflege muss überdacht werden. Dann kommt aber auch mit Sicherheit auf die Gesellschaft die Frage zu, was ihr Pflege wert ist. Wir haben in der Gesellschaft relativ viel Rückhalt. Die zunehmende Zahl an Demenzbetroffenen in den Haushalten lässt gewisse Einsicht aufkommen. Aber es wird nicht billig.

Warum ist Pflege so teuer?
Weil sie personalintensiv ist. Und weil keine Reserve da ist. Wenn eine Einrichtung mit einem gewissen Personalschlüssel kalkulieren muss und da fallen zwei, drei Leute weg, dann bricht das ganze System zusammen. Das bekommt schnell eine verhängnisvolle Eigendynamik. Es ist auch gar nicht mehr einfach, Personal zu finden. Der Markt ist relativ leer.

Viele Altenheime setzen mittlerweile auf Fachpersonal aus dem Ausland. Und Gesundheitsminister Jens Spahn scheint sich mit seiner Reise nach Mexiko anzuschließen... Ein Zukunftsmodell?
Wir hatten auch schon mehrere Aktionen in diese Richtung. Zum Beispiel haben wir eine Klasse aus Mexiko geschult, die ihre Anerkennungsprüfung machte. Das sind sehr motivierte Leute gewesen.

Für die Bewohner in den Heimen aber eine gewisse Umstellung...
Es sollte nicht unbedingt das Hauptbemühen sein, die Pflegekräfte aus dem Ausland zu holen. Die sprachliche Barriere ist trotz allem zunächst vorhanden und macht es für die Bewohner schwierig. Sprache ist nunmal der erste Zugang zur Kultur. Und wenn ich Zugang zu Demenzkranken haben möchte, hilft es, an heimischen Aspekten anzuknüpfen. Heimisches Personal bleibt wichtig. Aber wenn wir mehr solches wollen, müssen wir die Rahmenbedingungen anpassen. Das Problem ist schon lange bekannt, das wird seit kohlschen Zeiten ausgesessen. Das ist ein brisantes Thema, das kostet Geld, nicht den Staat, sondern die Gesellschaft.

Die Zahl der Demenzbetroffenen...
...steigt kontinuierlich. Die Altenpflegeschule war letzte Woche ja auch im Rahmen der Bayerischen Demenzwoche aktiv. Es zeigt deutlich, welche Bedeutung eine Erkrankung bekommen hat, wenn ein Land schon eine Woche ausruft zum Thema.

Wie herausfordernd ist Demenz für die Pfleger?
Die Kunst in der Pflege Dementer besteht darin, sich auf das Niveau zu begeben, das der Demente vorgibt, und das ist nicht leicht, ihn dort abzuholen, wo er steht...

Apropos: Immer öfter gibt es in Altenheimen Schein-Bushaltestellen für Demente, dort sammeln sie sich und warten vergebens auf den Bus – statt auszubüchsen.
Es gibt vereinzelt solche Stellen, das stimmt. Das Gleiche funktioniert auch mit einem Postamt oder einer Telefonzelle. Die früher markanten Stellen, die in einem Ortsbild waren, sind Orientierungspunkte für Demenzkranke. Aber diese Punkte nutzen sich auch ab, das funktioniert meist nur eine Zeit lang.

Was könnte die Pflege künftig insgesamt erleichtern? Die Technik?
Vor zehn Jahren, wenn Sie mir die Frage gestellt hätten, war es undenkbar, dass ich mir das Wort „Roboter“ im Kontext der Pflege vorstellen hätte können. Mittlerweile ist die Robotik aber schon so weit fortgeschritten, es gibt schon so feine Sensoren und Sprachsteuerungsmöglichkeiten, dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass Handreichungsdienste – zum Beispiel im Bereich Essen und Trinken – möglich werden. Nicht aber die Pflege selbst! Die nächste Generation an Pflegekräften wird eine geistig sehr mobile sein, durch die generalistische Ausbildung, aber auch durch die Möglichkeiten der technischen Entwicklung. Die klassischen Aspekte wie Nächstenliebe darf man nicht außer Acht lassen, aber die Möglichkeiten, die sich uns in der Zukunft bieten, erleichtern den Pflegealltag durchaus. Nur darf man dies nicht zum Anlass nehmen, erneut Personal zu streichen, sondern lieber dazu, den Beruf wieder attraktiver zu machen und die Hilfsmittel zu nutzen, so dass man wieder Zeit für einen Patienten gewinnt. Gerade in Zeiten, wo wir ständig von Technik umgeben sind, ist menschliche Nähe immer noch der heilsamste Faktor im Falle einer Erkrankung.

Interview: Daniela Pledl

PNP-28.09.2019